Was bedeutet die Entbudgetierung konkret?
Zur Finanzierung wird eine separate "Hausarzt-MGV" geschaffen, in die alle Gelder fließen, die bisher für die nun entbudgetierten Leistungen in der allgemeinen MGV enthalten waren. Reichen diese Mittel nicht aus, müssen die Krankenkassen Ausgleichszahlungen leisten.
Die neuen Pauschalen im Detail
Versorgungspauschale für chronisch Kranke 3 Honorarhöhen von 117 bis 154 Euro jährlich
Die neue Versorgungspauschale revolutioniert die Betreuung chronisch kranker Patienten über 18 Jahren. Statt der bisherigen quartalsweisen Abrechnung können Hausärzte für Patienten mit stabilen chronischen Erkrankungen, die eine kontinuierliche medikamentöse Versorgung benötigen, aber keinen intensiven Betreuungsaufwand verursachen, eine bis zu vier Quartale umfassende Pauschale abrechnen.
Die neuen Pauschalen:
5 bis 18 Jahre | 100,09 € |
19 bis 54 Jahre | 101,67 € |
55 bis 75 Jahre | 125,64 € |
Ab 76 Jahre | 153,72 € |
Im Durchschnitt beträgt die Versorgungspauschale 123,04 EUR pro Patient und Jahr. Die Pauschale ersetzt die bisherigen Versichertenpauschalen sowie die bisherigen Chronikerpauschalen und führt zu erheblichen Umverteilungseffekten: Chronisch Kranke, die bisher nur in einem oder zwei Quartalen Praxiskontakt hatten, profitieren stark (+181 % bzw. +41 %), während solche mit Kontakten in vier Quartalen fast 20 % weniger Vergütung erhalten.
Der entscheidende Vorteil: Patienten müssen nicht mehr aus rein abrechnungstechnischen Gründen jedes Quartal in die Praxis kommen. Dies soll überfüllte Wartezimmer entlasten und Kapazitäten für schwere Fälle und neue Patienten schaffen. Die Pauschale kann dabei nur ein Arzt pro Patient abrechnen, auch wenn der Patient wegen seiner chronischen Erkrankung bei mehreren Ärzten in Behandlung ist.
Vorhaltepauschalen für Versorgerpraxen
Die neue Vorhaltepauschale ersetzt die bisherige GOP 03040, die aktuell mit 138 Punkten (17,10 Euro) bewertet ist. Bei Praxen mit weniger als 400 Behandlungsfällen erfolgt ein Abschlag von 13 Punkten, bei mehr als 1.200 Fällen ein Zuschlag von 13 Punkten. Die neue Pauschale tritt zum 1. Oktober 2025 in Kraft.
Existenzbedrohende Auswirkungen bei Nicht-Erfüllung
Die
Berechnungen des Zentralinstituts zeigen dramatische finanzielle Konsequenzen
für Praxen, die die Kriterien nicht erfüllen: Der Verlust je Praxis liegt zwischen 18.000 und 100.000
Euro jährlich. Besonders kritisch wird es ab vier zu erfüllenden Kriterien, hier würde bereits
jede dritte Praxis
aus der Vorhaltepauschale herausfallen und auf rund 66.000 Euro
Einnahmen pro Jahr verzichten müssen. Dies entspricht dem Honorarumsatz
einer hausärztlichen Praxis für ein ganzes Vierteljahr und ist daher
existenzbedrohend.
Der Bewertungsausschuss hat eine dreijährige Konvergenzphase von Oktober 2025 bis September 2028 beschlossen. Dies bedeutet keine schlagartige Einführung aller Kriterien, sondern eine stufenweise Anpassung der Anforderungen mit Schutz vor extremen Honorarverlusten für bestehende Praxen.
Finanzielle Auswirkungen und Umsetzungsdetails
Die Entbudgetierung führt zu bundesweiten Mehrkosten von etwa 500 Millionen Euro jährlich, was einer Steigerung der hausärztlichen Kernleistungen um rund fünf Prozent entspricht. Allerdings verteilen sich diese "Entbudgetierungsgewinne" sehr ungleichmäßig: Während Hamburg und Berlin überproportional profitieren werden (über 100 Millionen Euro), fallen die Steigerungen in anderen Regionen, insbesondere im Osten und Süden Deutschlands, deutlich geringer aus.
Ausgabenneutralität führt zu Umverteilung
Beide neue Pauschalen sind kostenneutral gestaltet 3 sie sollen weder zu Mehr- noch zu Minderausgaben der Krankenkassen führen. Bei der Versorgungspauschale sind Leistungen im Wert von 3,9 Milliarden Euro betroffen, bei der Vorhaltepauschale rund 2,9 Milliarden Euro. Da das Gesamtvolumen konstant bleibt, entstehen zwangsläufig Gewinner und Verlierer durch Umverteilungseffekte.
Was müssen Praxen jetzt tun?
Da die finale Entscheidung über die Vorhaltepauschale am 17. Juni 2025 gefallen ist, sollten sich Hausarztpraxen bereits jetzt gezielt vorbereiten:
Regionale Unterschiede bei der Entbudgetierung
Die finanziellen Auswirkungen der Entbudgetierung werden regional sehr unterschiedlich ausfallen. Während einige Regionen deutlich profitieren, müssen andere mit geringeren Zuwächsen rechnen.
Diese ungleiche Verteilung der Entbudgetierungsgewinne ist auf die unterschiedlichen Vergütungsstrukturen in den KV-Regionen zurückzuführen. In Regionen mit bisher starken Budgetkürzungen fallen die Gewinne durch die Entbudgetierung entsprechend höher aus.
Umverteilungseffekte bei der Versorgungspauschale
Die Versorgungspauschale für chronisch Kranke führt zu erheblichen Umverteilungseffekten zwischen verschiedenen Patientengruppen:
Patienten
mit 1 Quartalskontakt: +181% Vergütung
Patienten
mit 2 Quartalskontakten: +41% Vergütung
Patienten
mit 3 Quartalskontakten: +7% Vergütung
Patienten mit 4 Quartalskontakten: -20% Vergütung
Die Versorgungspauschale soll unnötige Quartalskontakte reduzieren und die Möglichkeit erhöhen, mehr Termin in Hausarztpraxen anzubieten.
Fazit und Handlungsempfehlungen
Die Entbudgetierung und die neuen Pauschalen stellen einen historischen Wandel in der hausärztlichen Abrechnung dar. Praxen, die sich frühzeitig auf die neuen Anforderungen einstellen und ihre Abläufe entsprechend anpassen, können von den Änderungen profitieren. Gleichzeitig bergen die strengen Kriterien für die Vorhaltepauschale erhebliche finanzielle Risiken, die eine sorgfältige Planung und Umsetzung erfordern.
Nutzen Sie die Zeit bis zum Inkrafttreten der Änderungen am 1. Oktober 2025, um Ihre Praxis optimal auf die neuen Rahmenbedingungen vorzubereiten. Die dreijährige Konvergenzphase bietet zusätzlichen Spielraum für eine schrittweise Anpassung und schützt vor extremen Honorarverlusten.
Konkretes Zahlenbeispiel
Finanzieller Vergleich
Periode | Wegfallende Leistungen | Neue Versorgungs-pauschale | Vorhalte-pauschale | Gesamt-summe | Differenz |
Q3 2025 (alt) | GOP 03220/03221: 18.392 € | - | GOP 03040: 22.234 € | 40.626 € | - |
Q4 2025 (neu) | - | 31.481 € | 22.234 € | 53.714 € | +13.089 € |
Ergebnis der Reform
Best-Case-Szenario (alle Kriterien erfüllt)
- Quartalsgewinn: +13.089 € (+32,2 %)
- Jahresgewinn: +52,355 €
- Monatliches Plus: +4.363 €
Worst-Case-Szenario (Vorhaltepauschale entfällt)
- Nur Versorgungspauschale: 31.481 €
- Verlust gegenüber Q3 2025: -9.145 € pro Quartal
- Jahresverlust: -36.580 €
Kritische Erfolgsfaktoren
- Versorgungspauschale: Nur für stabile chronische Erkrankungen ohne intensiven Betreuungsaufwand
- Vorhaltepauschale: Alle 5 Grundkriterien müssen erfüllt sein:
- Bedarfsgerechte Praxisöffnungszeiten (Abend-/Samstagssprechstunden)
- Mindestens 10 Haus-/Pflegeheimbesuche pro Quartal
- Vorrangige hausärztliche Leistungserbringung
- Regelmäßige Telematikinfrastruktur-Nutzung
- Keine Mindestpatientenzahl (ursprünglich geplant, aber gestrichen)
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